Ein neuer "winziger" Satellit der Erde

Von Univ.-Prof.Dr.Rudolf Dvorak, Institut für Astrophysik der Universität Wien
aus dem Sternenboten 7/2016

Zwei Meldungen haben in diesem Jahr bezüglich neuer Forschungsergebnisse im Sonnensystem aufhorchen lassen: zuerst der 'Nachweis' eines 9. Planeten weit weg von der Sonne im Kuipergürtel ausserhalb der Neptunbahn und ganz aktuell das Auffinden eines 'quasi Satelliten' der Erde. Dieses Objekt 2016 HO3 war ursprünglich als 'Near Earth Asteroid' klassifiziert. Nun hat sich aber herausgestellt, dass er eine ganz charakteristische Bahn in der Nähe der Erde innehat, die ihn für lange Zeit - zumindest einige tausend Jahre - an die Erde bindet.

Mit den jetzigen Bahnelementen, einer Halbachse nur wenig größer als die der Erde (a=1.0034412 AU) und einer Exzentrizität der Bahn (e=0.0997007) die ihn immerhin zu 0.9 AU in Sonnenähe (Perihel) und 1.1 AU in Sonnenferne (Aphel) führt, kann er tatsächlich als entfernter Mond der Erde betrachtet werden. Wenn, ja wenn er nicht gar so klein wäre: die Abschätzungen aufgrund seiner Helligkeit entsprechen der Größe (sehr aktuell!) eines Fußballfeldes. Die Bahnform ist äusserst interessant, sie durchläuft nämlich Librationen um die Erde, ähnlich den Librationsbahnen von Trojanern um die stabilen Lagrangepunkte des Jupiter L4 und L5. Dies ist recht schön in der Figur 1 dargestellt, in der auch die Annäherungen an die Erde bis zu 0.0336 AU zu sehen sind, was immerhin einer Distanz von 5 Millionen km entspricht.

Vergleichen wir die minimale bzw. maximale Entfernung des Mondes von der Erde von jeweils 356000 km und 406000 km, so wird man sich der speziellen Bahn von HO3 bewusst. Die geringe Entfernung dieses Objektes von der Erde ist etwa 3 mal so weit als die sogenannte Hillsphäre der Erde von ca. 0,01 AE, in der die Anziehungskraft der Erde die der Sonne übertrifft. Tatsächlich ist dieser quasi Satellit nur ein vorübergehender Begleiter der Erde und hat auch keine stabile Bahn um die Sonne, denn Störungen der anderen Planeten führen ihn zeitweise bis zur Venus und auch zum Mars.

Um die Langzeitstabilität zu überprüfen, habe ich die numerischen Integrationen der Bahnen des kompletten Sonnensystems bis hin zum Neptun durchgeführt, wobei ich für 2016 HO3 die aktuellen Bahnelemente (siehe Seite 118) verwendet habe.

Fig.1: Librationsbahn 2016 HO3 relativ zur Erde in drehendem Rahmen, projiziert auf die Ekliptik über 60 Jahre

Fig.2: Das Innere Sonnensystem über 100 Jahre. Die auf die Ekliptikebene projizierten Bahnkoordinaten der Bahnen der inneren Planeten von Merkur bis Mars mit der Bahn des "neuen Planeten" (dicker Kreis):

Fig.3: Das Innere Sonnensystem über 1 Million Jahre. Die auf die Ekliptikebene projizierten Bahnkoordinaten der Bahnen der inneren Planeten Merkur bis Mars mit der Bahn des "neuen Satelliten":

In der Figur 3 sind von innen nach außen zu sehen:
1. Die Bahn von Merkur, dessen relativ große Exzentrizität zu grossen Differenzen in den Distanzen zur Sonne führt; die Schleifen sind nichts anderes als ein Effekt des gewählten Intervalls des Ausdrucks der Bahnelemente für Zeitbereich 100 Jahre.
2. Der schmale Ring der Venusbahn entspricht ihrer relativ kleinen Bahnexzentrizität (siehe Figur 4).
3. Die Erdbahn als dicker Ring (nur um sie hervorzuheben) ist in 1 AU ersichtlich.
4. Die Änderungen der Marsbahn werden durch die große Bahnexzentrizität dieses Planeten hervorgerufen; dies gilt auch für den Merkur. Die größten Bahnstörungen dieser beiden Planeten (beide mit weniger als 1/10 der Erdmasse) werden aber durch die anderen, viel massereicheren Planeten verursacht.
5. Interessant ist die in der Nähe der Erde bei etwa 1AU durch eine Punktwolke sichtbar gemachte Bahn von 2016 HO3! Offenbar gibt es Annäherungen an den Mars, aber auch an die Venus. Mit den sicherlich oft vorkommenden sehr nahen Begegnungen mit der Erde ist es offensichtlich, dass die Bahn nach einer gewissen Zeit instabil wird. Besonders gut ist das in Figur 4 zu sehen! Im Vergleich dazu sind in Figur 2 die Bahnen nur für 100 Jahre gezeichnet und die stabile Bahn von 2016 HO3 ist gut zu erkennen. Die Librationen sind nur in einem rotierenden Koordinatensystem, wie es in Figur 1 dargestellt ist, sichtbar.

Fig.4: Bahnexzentrizitäten von Venus, Erde und des Satelliten 2016 HO3 für 1 Million Jahre

Betrachtet man in Figur 4 die Signale der Bahnexzentrizitäten der Schwesterplaneten Erde (dicke Linie) und Venus (dünne Linie), die während der nächsten 1 Million Jahre immer kleiner als 0.05 bleiben, sieht man die strenge Kupplung der Bahnen. Erklärt kann das durch den Austausch des Bahndrehimpulses von Erde und Venus werden, die sich überdies noch in der 8:13 Resonanz der Mittleren Bewegung befinden. Ganz anders ist aber die Änderung dieses Bahnelements von 2016 HO3: er zeigt eine typisch chaotische Bahn, die über diese großen Zeiträume keine periodischen Veränderungen erkennen lässt. Die immer wieder auftretenden Sprünge werden zweifellos durch Annäherungen an die Planeten hervorgerufen und führen zu Bahnen weit weg von denjenigen um die Erde. In weiterer Folge wird dieser Kleinkörper sicherlich aus dem System hinausgeschleudert oder kollidiert mit einem Planeten oder stürzt in die Sonne.

Zum Schluß soll noch auf eine Hypothese der Entstehung des Objektes als nicht-natürlich hingewiesen werden. Eingehende Diskussionen zwischen den verantwortlichen Weltraumorganisationen NASA und ESA haben die Existenz als Überrest eines von der Erde abgeschossenen Satelliten als falsch erwiesen. Dagegen spricht auch die einzigartige Librationsbahn die nur durch ganz spezielle Einfangmechanismen über lange Zeiträume hervorgerufen werden kann. Überdies ist 2016 HO3 auf einer nur vorübergehend stabilen Bahn, wie in der vorigen Betrachtung gezeigt wurde.

Entdeckt wurde 2016 HO3 am 27.April 2016 mit dem Lunar and Planetary Laboratory, (LPL) Spacewatch II Spiegel 1,8 / 4,95 m (Tucson, Arizona) von R.A.Mastaller und bestätigt am 28.April mit 0,40 / 2,4 m SC (!!) von P.Birtwhistle (Great Shefford UK) und Pan-STARRS I, 1,8m RC Teleskop von R.Gibson et al. (Haleakala, Hawaii), Aktuelle Bahnelemente aus MPEC 2016 HO3, Symbole s.Heft 1/2016:

Epoche 2016 07 31,0 TT	   ω	306,12700° (2000,0)
M  	298,58530°	   ☊	 66,40301° (2000,0)
n   	0,98054200°/d	   i	  7,61685° (2000,0)
a	1,0034412 AE	   H	+23,9 mag
e	0,0997006	   G	  0,15
P	1,01 Jahre

Beobachten kann man 2016 HO3 nur bei Annäherungen an die Erde, die immer im April und Mai stattfinden. wobei dies aber nur mit den größeren Teleskopen möglich wäre, da die Helligkeit jenseits von m = +21 mag liegt. Derzeit ist HO3 bei uns nicht sichtbar. Aufgrund seiner Nähe ist dieser "Winzling" aber eventuell ein Objekt, das man von der Erde aus leicht in sehr kurzer Zeit mit künstlichen Satelliten besuchen und untersuchen kann. Abschließend soll gesagt werden, dass eine eingehende astrodynamische Untersuchung sicherlich von großem Interesse wäre, denn die interessante Libration um die Erde ist bis jetzt eine einmalige, nicht erwartete Bahnform eines Satelliten!

Literatur


Astronomisches Büro, Wien
Der Sternenbote
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