Kasimir Graff (1878-1950)

Von Dr.Anneliese Schnell
aus dem Sternenboten 5/2013

Kasimir Romuald Graff war von 1928 bis 1938 sowie von 1945 bis 1948 Professor für Astronomie an der Universität Wien und Direktor der Universitäts-Sternwarte. Er wurde 1878 in Prochnovo, Provinz Posen (damals im Königreich Preußen) als Sohn eines Gutsbesitzers geboren, besuchte die Schule in Posen und studierte ab 1897 in Berlin Astronomie, Physik, Mathematik und Geodäsie, wo er 1901 promovierte. Wilhelm Foerster unterstützte ihn schon während des Studiums mit einer Anstellung an der Urania-Sternwarte in Berlin, ab 1902 war er bis zu seiner Berufung nach Wien in Hamburg tätig, wo er 1909 Observator wurde und 1917 Professor wurde. In Hamburg erfolgte 1912 die Einweihung der neue Sternwarte in Bergedorf, sie feierte also im vergangenen Jahr ihr hundertjähriges Jubiläum. Graff beherrschte eine seltene Kunst, die des visuellen Beob-achtens sowie der Wiedergabe seiner Beobachtungen in exakten Zeichnungen. Zusätzlich konnte er für seine Zwecke erforderliche einfache Messgeräte erdenken und bauen.

Nach Wien brachte er die Optik für ein Spiegelteleskop von 40 cm Durchmesser mit. Den Wiener Astronomen sollte er nach den langen Jahren klassisch-astronomischen Arbeitens Astrophysik nahebringen. Damals gab es in Wien nur einen einzigen Astronomen, der auf dem Gebiet der Astrophysik arbeitete, nämlich Walter Bernheimer; ihm stellte Graff schon während der Zeit der Berufungsverhandlungen ein Keilphotometer zur Verfügung. Noch in Hamburg entstanden neben vielen kurzen Arbeiten seine umfangreichen Veröffentlichungen in Buchform: "Grundriß der Astrophysik", "Stern-Atlas, enthaltend alle Sterne bis zur 9ten Größe sowie die helleren Sternhaufen und Nebel zwischen dem Nordpol und 23° südlicher Deklination" gemeinsam mit M. Beyer und "Grundriß der geographischen Ortsbestimmung aus astronomischen Beobachtungen"; in Wien gab es noch Folgeauflagen. In der Zeit der Übersiedelung nach Wien schrieb er einen Beitrag über "Die Weltkörper des Sonnensystems" für das mehrbändige Lehrbuch der Physik von Müller-Pouillet und in Wien entstand noch "Die physische Beschaffenheit des Planetensystems" für das Handbuch der Astrophysik.


K.Graff um 1936 (L.Figl Obs., Wien)

Gleich nach seiner Ankunft in Wien wurde Graff Vorsitzender des Vereins "Freunde der Himmelskunde", aber 1931 kandidierte er wegen Arbeitsüberlastung, wie Hermann Mucke herausfand, nicht mehr. In Wien begründete Graff (wohl nach Hamburger Vorbild) eine eigene Publikationsreihe, die Mitteilungen der Wiener Sternwarte. In Band 1 mit Arbeiten erschienen zwischen 1931 und 1938, gibt es fast ausschließlich Veröffentlichungen von Graff. K.Graff bemühte sich zunächst um eine Modernisierung der Sternwarte, die ja bereits mehr als ein halbes Jahrhundert bestand, ohne daß irgendeine Erneuerung oder Verbesserung stattgefunden hätte. In der Kuppel des Großen Refraktors wurde eine Hebebühne sowie eine elektrische Spalt- und Kuppelbewegung eingebaut. In die Ostkuppel kam ein 200 mm Refraktor von Starke & Kammerer von der Technischen Universität. In den Jahren der wirtschaftlichen Krise wurde es aber immer schwieriger, die erforderlichen finanziellen Mittel zu erhalten. Graff beklagte es in den Jahresberichten deutlich.

Die Wiener Sternwarte hatte damals noch keine institutseigene Werkstätte. Mit den gewünschten Verbesserungsarbeiten wurden, wenn überhaupt, in Wien ansässige Firmen beauftragt. Knapp vor Graffs Ankunft in Wien wurde die Firma HORA des Uhrenspezialisten und Amateurastronomen Karl Satori insolvent. Wohl nach dem Vorbild von Repsold in Hamburg, Steinheil in München sowie Bernhard Schmidt in Hamburg nahm Graff Satori mit seinen Gerätschaften und seinen Mitarbeitern an der Sternwarte auf; Satori verließ die Sternwarte 1929 wieder, eine private Werkstätte wurde nicht aufrechterhalten, sondern sowohl Maschinen als auch Bedienstete (ein Werkführer, ein Mechaniker) von der Sternwarte übernommen; die beiden Herren leisteten der Sternwarte noch durch viele Jahre wertvolle Dienste. Graff begründete damit die auch heute noch bestehende Werkstätte der Sternwarte.

Der größte Auftrag an Satori und seine Mitarbeiter war der Bau eines 40 cm Spiegelteleskops, das in der Nordkuppel aufgestellt werden sollte. Die Optik, privates Eigentum von Graff, war wohl eine von vielen, die in Hamburg von Bernhard Schmidt auf dem Weg zu einer komafreien Optik hergestellt wurden. Allerdings teilte Schmidt Graff die optischen Eigenschaften nicht mit und die Wiener Astronomen taten sich ziemlich schwer, diese zu bestim-men. Die Arbeit wurde von Adolf Hnatek durchgeführt und dauerte mehr als 2 Jahre. Ehrlich berichtet Graff darüber in den Jahresberichten. Schmidt dürfte all die Bemühungen aus der Ferne belustigt verfolgt haben; erst nach dem erfolgreichen Abschluß seines eigenen Projektes (das heute als Schmidt-Spiegel bekannt ist) schrieb er Graff einen Brief, der wie ein Abschnitt aus einem Optik-Lehrbuch wirkt. Dieser Brief erreichte Graff während eines Beobachtungsaufenthaltes 1932 in Mallorca, Graff bedankt sich mit einer Ansichtskarte, geht aber auf Schmidts Mitteilungen überhaupt nicht ein, sondern schwärmt über die hervorragenden Beobachtungsbedingungen. Für die Aufstellung des Spiegelteleskops wurden zum Teil alte Fernrohrbauteile verwendet, die erneuert werden mußten; es stellte sich heraus, dass der Pfeiler verstärkt werden mußte und daß für eine Aufstellung in der Nordkuppel deren Kuppelspalt nicht breit genug war, da ja die Kuppel des Großen Refraktors genau im Süden lag. So dauerte es schließlich bis in die Direktionszeit von Josef Hopmann, vermutlich bis 1953, bis das erste Spiegelteleskop in Wien aufgestellt wurde und bis zur Eröffnung des L.Figl-Observatoriums das einzige Spiegelteleskop Wiens blieb. Während Hopmanns Direktionszeit wurde die Optik auch der Witwe Graffs abgekauft. Schon während meiner Studienzeit habe ich unter der Anleitung von Thomas Widorn mit dem Instrument beobachtet und Lichtkurven und Minimumszeiten von Bedeckungsveränderlichen bestimmt. Erst nach der Inbetriebnahme der Außenstation im Wiener Wald wurde es nicht mehr verwendet, schließlich abgebaut und 1980 an die Linzer Astronomische Gemeinschaft verliehen. Seit seiner Rückkehr nach Wien ist es im Rundsaal der Sternwarte als Museumsstück aufgestellt.

Graff konnte offenbar niemals genug Fernrohre haben - mit Ignaz Kuffner hatte er abgesprochen, nach einer gründlichen, von Kuffner bezahlten Renovierung die Kuffner Sternwarte zu übernehmen und für die Ausbildung von Studenten einzusetzen; er plante auch die Übernahme der Rothschild Sternwarte auf dem Dach des Palais Rothschild, aber hier kamen ihm die Nationalsozialisten mit der Zerstörung zuvor. Eine Übernahme wäre in beiden Fällen nicht unbedingt ein Gewinn gewesen, die Instrumente waren nicht moderner als die der Universitätssternwarte, außerdem lag die Sternwarte Rothschilds mitten im Stadtgebiet von Wien.

All diese Verbesserungs- und Modernisierungsarbeiten nahm Graff aber nicht vor, um die Umstände für seine eigenen Zwecke zu verbessern. Bedingt durch die schlechten klimatischen Bedingungen in Mitteleuropa und durch den Umstand, daß an den großen neuen Sternwarten (in unmittelbarer Nähe von sich immer mehr ausbreitenden Großstädten wie z.B. Hamburg, Babelsberg, Potsdam und Wien) immer schlechtere Beobachtungsbedingungen herrschten, bestand offenbar schon damals ein Plan, eine deutsch-österreichische Sternwarte im Süden Europas zu errichten. Jedenfalls unterstützten die damals bestehende Notgemeinschaft deutscher Wissenschaft und eine österreichisch-deutsche Wissenschaftshilfe Beobachtungsreisen Graffs nach Mallorca und später nach Dalmatien zur Erkundung der astronomischen Beobachtungsbedingungen vor allem im Winter. Mit den kleinen von ihm mitgeführten Instrumenten nahm er natürlich Untersuchungen der Bedingungen für astronomische Beobachtungen vor, aber bald war ihm die Lösung astronomischer Probleme wichtiger. Für photometrische Untersuchungen von Milchstraße und Zodiakal-licht, für die Bestimmung des Lichtwechsels von Eros und des Helligkeitsverlaufes des Kometen 1932n, für eine rote Wolke im Orion, das visuelle Farbengesetz der Sterne der Praesepe und eine kolorimetrische Untersuchung von Sternen bis zu einer bestimmten Helligkeit tat er vieles, was bis an die Grenze der von ihm verwendeten Instrumente reichte, aber die Suche nach einem günstigen Beobachtungsort weit übertrifft.

Die Ergebnisse seiner Untersuchungen veröffentlichte er in den Sitzungsberichten der Akademie der Wissenschaften, eine Zusammenfassung von Sonderdrucken dieser Arbeiten bilden die Mitteilungen der Wiener Sternwarte. Mit dem abgeänderten Namen "Mitteilungen der Universitätssternwarte Wien" besteht diese Reihe noch viele Jahre.

Im März 1938 beim Anschluss Österreichs an Deutschland wird Graff unter dem Vorwand fehlerhafter Finanzgebarung sofort vom Dienst suspendiert, eine von ihm geforderte Disziplinaruntersuchung wird nicht durchgeführt. Das Betreten von Institutsräumen wird ihm untersagt, er darf aber zunächst in der Dienstwohnung bleiben und ein ihm privat gehörendes kleines Fernrohr in einer Blechhütte auf dem Dach des Sternwartengebäudes aufstellen und damit beobachten. Eine für ihn persönlich wichtige Pensionierung erreicht er 1940. Die kommissarische Leitung der Sternwarte erhielt Adalbert Prey. Sein Nachfolger, Bruno Thüring, wurde zwar im Herbst 1940 ernannt, war aber beim Militär und trat seinen Dienst erst im Jänner 1941 an. Er strengte gegen Graff eine Räumungsklage an, war nicht bereit, diese zurückzuziehen, es läßt sich aber nicht feststellen, ob es tatsächlich dazu gekommen ist, da Graff bereits die Zusage für ein Siedlungshaus in Breitenfurt (damals in Großwien) hatte. Thüring wurde 1943 wieder zum Militär einberufen, kam nicht mehr nach Wien und wurde 1945 entlassen. Graff kehrte 1945 an seine alte Stelle zurück, die er bis 1948 innehatte.

Er erkrankte schwer, seine beiden letzten Studenten Heinrich Eichhorn und Hermann Haupt legten ihre Abschlussprüfungen bereits an seinem Krankenbett ab. K. Graff starb 1950. Die erste Frau Graffs, Frida Graff, starb 1939. Graff heiratete 1943 ein zweites Mal. Das Familiengrab ist auf dem Friedhof Neustift am Walde in Wien. Kleinplanet (933) Susi ist nach der ersten Frau Graffs benannt, sie dürfte also noch weitere Vornamen gehabt haben. Die Gemeinde Breitenfurt ehrte Graff durch die Benennung einer Gasse nach ihm, in einer Bezirkszeitung erschien vor kurzem ein Artikel über ihn.


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